Lisa von Ortenberg
(formerly Lisa Stocker)
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Miss Xyza Cruz Bacani

4/13/2015

 
- Die Langversion meiner Geschichte für BRIGITTE (09/2015) -
  
Es sind schnelle Bilder. Sekundenbilder. Menschen in der U-Bahn. Polizisten in Kampfmontur. Koeche. Prostituierte. Marktfrauen. Was eben so passiert, auf den Strassen Hongkongs. Xyza (gesprochen „Seisa“) Cruz Bacani hat ja nicht viel Zeit. Sie knipst, wenn sie das Haus verlaesst, um Besorgungen zu machen. Im Hauptberuf ist die 27-Jaehrige ‚Domestic Helper’. So heisst ihr Job im im offiziellen Sprachgebrauch. Haushaltshilfe – in Xyzas Fall eigentlich eine Untertreibung. Sie steht um 5.30 auf. Bereitet als erstes das Fruehstueck fuer ihre Arbeitgeberin. Danach macht sie die Kueche sauber, putzt die Wohnung. Das Mittagessen kocht Xyzas Mutter. Kochen kann sie nicht. Sonst macht sie fast alles. Am Nachmittag beaufsichtigt sie die sechs Enkelkinder ihrer Chefin. Die sind zwei bis 14 Jahre alt. Ein halber Kindergarten. Mit den Kleinen spielt sie Ball, legt Puzzle, liest Buecher. Dem aeltesten Enkel bringt sie Computerspiele bei. „Fuer ihn bin ich eine Art grosse, coole Schwester,“ erzaehlt sie eines Freitagabends nach Dienstschluss in einem Cafe. Stimmt, rein aeusserlich koennte sie auch als 17-Jaehrige durchgehen. Traegt Zahnspange und Street Wear; die untere Haelfte ihres dicken Zopfs zeigt eine rausgewachsene Hennafaerbung.

Sechs Tage schuftet sie, oft bis 21.00 Uhr. Einen Tag in der Woche hat sie frei. Dafuer bekommt sie den Mindestlohn von 450 Euro im Monat – Kost und Logis inklusive. Doch bald soll Schluss sein mit Toilettenputzen. Denn im Mai wird Xyza nach New York aufbrechen, um im Rahmen eines Magnum-Stipendiums endlich das zu werden, was sie immer sein wollte: Profi-Fotografin mit Schwerpunkt Dokumentation. Sechs Wochen wird sie an der Tisch School of the Arts, der Kunsthochschule der New York University studieren, von Magnum-Urgestein Susan Meiselas intensiv betreut.

Und dass sie das als einfache, ungeschulte Helferin geschafft hat, ist eigentlich fast ein kleines Grosstadtmaerchen. Obwohl seine Heldin ja verkuendet: „I’m not a princess, I’m a rockstar“. Zumindest steht das auf ihrem Sweatshirt. Dazu traegt sie klobige Schnuerschuhe und schwarze Leggings. Selbstbewusstsein hat sie! Und das braucht sie auch, bei ihrer Herkunft, in dieser Stadt. Denn die Hongkonger behandeln ihre 320.000 Helfer aus den Philippinen, Indonesien oder Sri Lanka wie ihre unterste Kaste. Besitz bedeutet hier eben oft Status. Wer kein Geld hat, und selbst so billig ist, auf den schaut man herab.

Xyza kann sich endlos drueber aufregen. Fast eine Dekade lebt sie nun schon in Hongkong. Aber heimisch fuehlt sie sich immer noch nicht. Manchmal wird „Domestic Helper“ hier fast wie ein Schimpfwort gebraucht, findet sie. Dabei halten sie, ihre Mutter und ihre vielen anderen Kolleginnen die ganze Stadt erst am Laufen. Sie wirkt ein bisschen wie die schnoddrige Saengerin einer Maedchenband. Eigentlich würde sie ihre Zeit jetzt lieber draussen auf den Strassen verbringen, als wieder ein Interview zu geben, gibt sie offen zu. Sie macht es nur, weil die Familie sich immer so freut, wenn etwas ueber sie in der Zeitung steht. Dabei kann sie es eigentlich ganz gut, das Uebersichselbstreden. Genau wie sie in ihrem Fotoblog auch immer wunderbar lebendig darueber schreibt, was sie momentan umtreibt.

Sie wollte immer Kuenstlerin sein, schon als Teenager, obwohl sie anfangs keine Ahnung hatte, in welchem Bereich. Pinsel und Farben waren fuer ihre Familie schlicht unerschwinglich. Also beobachtete sie einfach erst mal alles um sich herum, sammelte Bilder im Kopf. Und las Fantasy Geschichten, mit denen sie sich hinwegtraeumte. Mit ihr wertvollster Besitz  ist eine Erstausgabe von Tolkiens ‚Hobbit’, die sie bei einem Hongkonger Schuhputzer in der Buecherbox entdeckt und fuer drei Euro erstanden hat. Fuer solche Momente mag sie uebrigens ihre Wahlheimat.

Aufgewachsen ist sie in einer der aermsten Provinzen der Philippinen auf, Nueva Vizcaya, wo es nicht mal einen Flughafen gibt. Wenn sie nach Hause will, nimmt sie in Manila einen Bus, und faehrt neun Stunden Richtung Norden. Ihr Vater, ihr Bruder, sowie die Familie ihrer kleinen Schwester leben noch da, auf einer Farm, die eigentlich aus zwei Huetten besteht. Als Xyza sieben Jahre alt war, ging ihre Mutter als erste nach Hongkong, um den Familieunterhalt zu verdienen. Von dem Tag an musste Xyza ihren damals fuenfjaehrigen Bruder und die dreijaehrige Schwester versorgen – der Vater ging wie gewohnt aufs Feld. „Das war echt hart,“ sagt sie, den ganzen Tag allein mit den beiden Kleinen. Eigene Kinder brauche ich spaeter nicht mehr.“ Doch die Eltern hatten keine andere Wahl. Und sie hat die Trennung auch nie angezweifelt. „Meine Mutter ist die wahre Superwoman unserer Familie“, sagt sie. Ihre persoenliche Heldin. Obwohl die Mutter nur einige Jahre zur Schule gehen konnte, hat sie sich selbst in Hongkong ein fluessiges Cantonesisch beigebracht. Und nur dank der muetterlichen Ueberweisungen aus Hongkong konnte Xyza ueberhaupt ihre Highschool beenden. Danach befand der Familienrat, sie solle Krankenschwester werden. Doch das ewige Auswendiglernen von Koerperteilen fand sie langweilig. Weil ihnen sonst nichts Besseres einfiel, holte sie die Frau, bei der ihre Mutter arbeitete, ebenfalls nach Hongkong. In deren Penthouse sollte sie nun das Geld fuer die Ausbildung der Geschwister verdienen. Was ihr recht war. Immerhin konnte sie endlich wieder bei ihrer Mutter sein. Und bekam sogar ein eigenes Zimmer, das sie in den letzten Jahren zum Fotolabor umfunktioniert hat: „Es sieht ein bisschen chaotisch aus bei mir, wie im Dschungel.“

Die Mutter leistet der verwitweten Dame auf dem Sofa Gesellschaft, waehrend Xyza die harte Arbeit machen muss. Xyza wuerde diese Arbeitsteilung nie kritisieren. Ihre Chefin will das eben so. „My boss“ sagt sie, wenn sie von ihr spricht. Und es sind ihr partout keine boesen Worte ueber die 75-jaehrige Chinesin zu entlocken, obwohl die ihr doch nur den Mindestlohn zahlt – und Xyza jeden Tag so lange arbeiten laesst. Xyza besteht sogar darauf, die Identitaet der Frau zu schuetzen. Nur soviel sei verraten: Die Chefin hat ein halbes Leben in Australien gearbeitet, und viel Geld verdient. Sie ist sehr klug, sagt Xyza. Tatsaechlich hat sie wohl als Erste ueberhaupt in Xyza nicht nur die Hausangestellte, sondern auch die Kuenstlerin gesehen.
Xyza traeumte immer von einer Profikamera – ohne natuerlich jemals das Geld dafuer zu haben. Doch nachdem sie fuenf Jahre hart gearbeitet hatte, gab die Chefin ihr das Geld fuer eine Nikon D 90. Das war damals Xyzas Wunschkamera. Jeden Monat sollte sie dafuer einen kleinen Betrag zurueckzahlen. Und der Tag, an dem sie die Kamera erstand, hat tatsächlich ihr ganzes Leben veraendert. Vorher waren die Wochen nur sinnlose Abfolgen der immer gleichen Taetigkeiten: Arbeiten, Essen, Fernsehen und Schlafen – an freien Tagen Shoppengehen.

Seit sie die Kamera hat, will sie ihre Tage maximal ausnutzen. Jede freie Sekunde. Schickt der Boss sie zur Post, findet sie das gerade gut. Die Kamera kommt immer mit. „Die Kamera ist naemlich auch ein Schutzschild gegen Vorurteile. Wenn ich sie umhabe, bin ich nicht mehr die kleine Helferin in dieser Stadt. Ich werde anders wahrgenommen.“  Sie verplempert ihr Geld nicht mehr nur fuer Klamotten, sondern spart es fuer Filme, Abzuege und bessere Objektive. Denn wofuer andere Jahre studieren, das passierte in Xyzas Fall fast ueber Nacht: sie wurde Fotografin. „Muss was mit Schicksal zu tun haben..,“ sagt sie, obwohl Pathos sonst gar nicht zu ihr passt.

Anfangs schoss sie fuer ihre Mutter, die kaum das Haus verlaesst, um jeden Cent fuer ihre Lieben zuhause sparen zu koennen. Sie wollte ihr die Stadt zeigen. Die ersten Bilder waren harmlose, aber sehr schoene Architekturfotos. Sie postete einige auf Facebook. Schon hatte sie ihren ersten Fanclub. Also ueberlegte sie sich fuer ihre freien Tage, meisten der Freitag, gezielte Themen fuer laengere Serien. Zum Beispiel einen Ausflug in den Arbeiterstadtteil Yau Ma Tei, wo noch die alten Barber ihre Salons haben. Voller Vorfreude steht sie an diesen freien Tagen auf, genauso frueh wie sonst auch: „Das ist ja immer als wuerde man nach sechs Tagen aus dem Gefaengnis entlassen. Einfach toll, stundenlang selbstbestimmt auf Pirsch gehen zu koennen!“

Die Idee, sie dabei zu begleiten, und sei es nur fuer eine halbe Stunde, lehnt sie ab. Das sei vielleicht die Kuenstlerin in ihr – aber sie laufe, fotografiere, esse nun mal am liebsten allein. Sorry! Fotografieren sei wie Meditation fuer sie, immer mit den Kopfhoerern auf dem Kopf. Ob sie Hongkong mag? Ja und nein. Es ist modern, hat auch ein paar gute abgerockte Ecken. Aber die Stimmung ist hart und nicht besonders menschlich. „Eine City voller Grauschattierungen,“ formuliert sie plastisch. Daher fotografiere sie hier meist in Schwarz-Weiss. Oft sind es isolierte Personen, denen sie ein imposantes, uebergrosses Bauwerk gegenueber stellt. Bacanis Hongkong ist eine Stadt, in der jeder fuer sich kaempft. Wo selbst die Kinder selten lachen, weil sie schon im Kindergarten Bewerbungsgespraeche absolvieren muessen.

Man erkennt Xyza Bacanis Bilder sofort. Sie haben so etwas Zartbitteres, sind oft sehr persoenlich. Doch ihr Meisterstueck ist eine Reihe ueber missbrauchte Helferinnen – mit sie am Ende auch Magnum überzeugen konnte. Es ist eine Dokumentation ueber das Frauenhaus Bethune, eigentlich nur eine 90 Quadratmeter grosse Wohnung in einem anonymen Hongkonger Wohnblock im Stadtteil Jordan. Obwohl es gerade mal Platz fuer 20 Behelfsbetten gibt, finden derzeit dort 24 Frauen Unterschlupf. Manche sind missbraucht worden, geschlagen oder ausgebeutet. Weil die Helfer gesetzlich gezwungen sind, bei ihren Arbeitgebern zu wohnen, können moderne Formen von Sklaverei immer wieder passieren. In den Golfstaaten genau wie in Hongkong. Vor wenigen Wochen erst wurde wieder eine ehemalige Kosmetikerin zu sechs Jahren Gefaengnis verurteilt, weil sie ihre Helferin Erwiana fast rund um die Uhr putzen liess, ihr Kuechenabfaelle zu Essen gab, sie auf dem Boden schlafen liess, schliesslich mit heisser Suppe verbruehte. Als die junge Frau knapp unter 30 Kilo wog und komplett arbeitsunfaehig war, fuhr sie sie zum Flughafen, zog ihr eine Damenwindel an und entsorgte sie wie ein kaputtes Fahrrad. Zum Glueck wurde eine andere Helferin auf das Buendel Elend aufmerksam und brachte sie ins Krankenhaus. Der Fall der Helferin Erwiana machte weltweit Schlagzeilen. Viele andere bleiben ungesuehnt. Denn die Ausbeuter versuchen natuerlich, die Gerichtsverhandlung mit allen Mitteln hinauszuziehen. So lange, bis die Frauen selbst aufgeben, weil sie sich das Leben ohne Einkommen in Hongkong nicht mehr leisten koennen. Xyzas wichtigstes Anliegen ist es, durch ihre Fotos auf solche Schicksale aufmerksam zu machen. 

Im Gegensatz zu den anderen Bildern nimmt sie sich fuer diese Art der Fotografie sehr viel Zeit. Zeit, um das Vertrauen der Frauen gewinnen. Und Zeit, um sie zu begleiten: zum Arzt, zum Anwalt, zu Gericht. Die Idee dazu stammte ursprünglich von Rick Rocamora, einem arrivierten philippinischen Fotografen aus San Francisco, der im Internet auf sie aufmerksam geworden war. Rick spielt in ihrem Maerchen die Rolle einer guen Fee. Er wurde ihr erster Mentor, der ihr die ersten Ausstellungsmoeglichkeiten in den Philippinen organisiert hat. Unermuedlich ruehrte er die Werbetrommel fuer sie. Durch ihn durfte sie in Hongkong im philippinischen Konsulat ausstellen. Und eines Tages hat sogar die New York Times ueber die Strassenfotografie der philippinischen Maid Xyza berichtet. „Dieser Artikel hat mein Leben veraendert,“ sagt sie. Es schrieb ihr ein gewisser Jonathan van Smit, „der Koenig der Hongkonger Streetfotografie,“ wie sie ihn nennt, Mitte 60 und mittlerweile auch ihr bester Freund. Er war von den Arbeiten der jungen Kollegin so beeindruckt, dass er ihr nach einem Treffen sogar seine alte Leica schenkte!

Ausserdem meldete sich Sim Chi Yin, eine anerkannte Pekinger Dokumentarfotografin, die 2010 das Magnum Stipendium of Human Rights gewonnen hatte – und Xyza einlud, sich fuer den gleichen Intensivkurs zu bewerben. Material hatte sie genug – aus dem Frauenhaus. Weil sie aber vor lauter Bildern irgendwann selbst nicht mehr wusste, was sie Magnum zeigen sollte, druckte sie alles auf Postkartenformat aus und liess die Modelle eine Auswahl treffen. Dieser Nachmittag war Xyzas Lieblingstag mit den Bethune-Frauen: „Es war wunderbar zu sehen, wie stolz sie auf sich waren – und auf mich auch. Wir haben die ganze Zeit gelacht.“

 „Sie hat ein ungewoehnlich gutes Auge,“ stand in der offiziellen Wuerdigung, die man Xyza per Skype Anfang Januar vorlas, als sie tatsaechlich gewonnen hatte. Selbst ihre Schnappschuesse seien „magisch“. Sie grinst, als sie es erzaehlt, sichtlich stolz auf diese Hymne. Doch das Wichtigste fuer sie am Stipendium ist, dass sie rauskommt aus Hongkong. Sie wird sich eine neue Stadt erschliessen, mit Vollprofis arbeiten. Und kann sich endlich ungehindert ganz ihrer Kunst widmen.
In Hongkong darf sie wegen ihres Helfer-Visums ja nicht mal als Fotografin Geld verdienen. Kuerzlich wurden bei einer Charity -Auktion mehrere Bilder von ihr versteigert, eines sogar fuer 1700 Euro – „mein Monatsgehalt mal vier.“ Sie sah jedoch keinen Cent davon. Kam alles einer Gesellschaft zugute, die Helferinnen in Not unterstuetzt. „Haha“, sagt sie, „dabei bin ich ja selbst ein Sozialfall“.
Ihre Chefin hat ihr naemlich soeben gekuendigt, schon zwei Monate vor ihrem Umzug. Begruendung: Mit Bildern koenne sie weitaus mehr Geld machen, als bei ihr. Xyza weiss, dass die Chefin recht hat. Sie fliegt sogar schon naechste Woche fuer einen Auftrag nach Dubai. Trotzdem fuehlt sie sich momentan ein bisschen wie Aschenputtel auf dem Weg zum Ball – das Happy End liegt in greifbarer Naehe, aber ein bisschen mulmig ist ihr schon.

Nachspann: Noch waehrend sie den Mantel anzieht, holt sie die Kamera ganz vorsichtig aus ihrem Rucksack. Sie haelt sie mit einer Hand vor dem Bauch. Ein paar Schritte weiter, draussen vor dem Cafe, sieht sie ein paar Maedchen in einem Hauseingang, rauchend. Huebsche Maedchen an einem Freitagabend, zum Ausgehen zurecht gemacht. Sie hat sich noch nicht verabschiedet, da drueckt sie schon auf den Ausloeser. Einfach so aus der Huefte. Das Foto ist – ziemlich perfekt. Es koennte in jedem Hochglanzmagazin genau so gedruckt werden.


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