Lisa von Ortenberg
(formerly Lisa Stocker)
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Mit Schirm, Charme und Buch: Hongkongs vernuenftige Revoluzzer

11/17/2014

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Die Langfassung meiner Reportage, die am 17.11. 2014 auf der Seite 3 des Tagesspiegel (gekuerzt) erschien. 


Seit sieben Wochen demonstrieren Hongkongs Studenten fuer ein allgemeines Wahlrecht. Fuer Demokratie. Gegen China. Doch nun sollen die besetzten Strassen geraeumt werden. Wie gehen die Studenten damit um? 
Ein Besuch in der Zeltstadt vor dem Regierungsgebaeude.

Morgens gegen 10.30 sind kaum Studenten auf der Strasse. Die meisten schlafen noch in ihren Zelten auf der Harcourt Road. Doch Kobe Chan ist bereits auf seinem Posten. Wenn ploetzlich ein polizeiliches Raeumkommando aus Central kaeme, muesste es zuerst an ihm und seiner kunstvoll verschweissten Barrikade vorbei. Der schmaechtige Kobe blinzelt etwas fertig aus seinem schwarzem Kapuzenpulli hervor. Nein, Angst hat er nicht. Doch wahnsinnig muede ist er. Das Leben auf der Strasse fordert seine ganze Energie. Wie lange er schon dabei ist? „Fast von Anfang an.“ Also seit jenem letzten Sonntag im September, den alle in der Zeltstadt immer nur „that day“ nennen. Der Wendepunkt. Der aus einer friedlichen Demonstration auf der vierspurigen brueckenartigen Hauptverkehrsader mitten im Finanzdistrict eine echte Buergerbewegung machte. Wie lange sie noch auf der Strasse ausharren werden, wissen sie nicht. Doch die Innenministerin Carrie Lam hat die Demonstranten vergangene Woche wissen lassen, dass sie besser aufgeben sollten. Die Polizei bereite sich auf eine Raeumung des Areals vor. Jeden Tag koennte es so weit sein.


Kobe vermisst sein Bett und ein Badezimmer. Trotzdem will er ausharren bis zum Ende. Er und seine Freunde haetten sich ja nie traeumen lassen, dass die ganze Aktion fast zwei Monate geht. Angefangen hatte alles so harmlos. Einige Professoren der Hongkonger Rechtsfakultaeten sowie Schuelerorganisationen hatten zu einer Demonstration der Schueler und Studenten im Vorfeld des chinesischen Staatsfeiertags aufgerufen. Rund um den Regierungssitz wollten sie ein Ausrufezeichen setzen: ‚Gebt uns endlich ein freies, demokratisches Wahlrecht!’ So wie es 1997 bei der Demokratie der britischen Kronkolonie an die Chinesen versprochen worden war. 50 Jahre hatte China damals „one country, two systems“ zugesichert – ein Land, zwei unterschiedliche Systeme. Doch statt einem frei gewaehlten Praesidenten regiert seit Jahren ein chinesischer Statthalter, der im Falle des gegenwaertigen ‚Chief Executive’ CY Leung einen bemerkenswert ungeschickten Eindruck macht.

Ob er den irren Befehl gegeben hat, Traenengas einzusetzen? Niemand weiss es. Kobe erinnert sich nur, dass die Polizei an jenem Sonntag  offensichtlich von der schieren Menge der Demonstranten und ihrer Sympathisanten schlicht ueberfordert war, panisch reagierte – und ihren groessten Fehler machte. Am fruehen Abend schossen sie 87 Kanister Traenengas ab. Ohne Warnung! Die Polizei hoffte, die Demonstranten so zu stoppen – und erreichte das Gegenteil: „Ich glaube, selbst Peking konnte danach nur sagen, you fucked it up.“ Sofort nach Dienstschluss kam Kobe aus der Modeboutique, in der er arbeitet. Zusammen mit Abertausenden aus allen Schichten, Altersstufen, und den entlegensten Vororten.

Am ersten Oktober haette zu Ehren Chinas ein grosses Feuerwerk stattfinden sollen. Wenigstens das hat die Regierung dann angesichts der Massen auf den Strassen abgesagt. Ansonsten duckte sie sich danach nur paralysiert weg, waehrend immer mehr Sympathisanten kamen. Die Studenten warteten auf einen Dialog, doch bis die Innenministerin endlich ein paar Studentenvertreter zum Austausch einiger kalter Worthuelsen empfing, sollten fast vier Wochen vergehen.

Kobe schlief genau wie die Studenten einfach auf der Strasse. Luftmatratzen oder Bettzeug hatten sie nicht. In der ersten Woche nach Hause zu gehen, waere unvorstellbar gewesen. Seine Mutter machte sich natuerlich riesige Sorgen, als er nicht mehr heimkam. Aber Kobe sagte, „ihr habt mich gelehrt nicht aufzugeben, bevor man nicht alles versucht hat. Ich bleibe.“ Anfangs hatten sie nur ein paar Cracker und Wasser, gespendet von Sympathisanten. Geschlafen haben sie kaum. "Die Stimmung war einzigartig. So aufregend. Und so friedlich.“ In Hongkong, dieser hektischen, geldgeilen Stadt, in der sich oft nicht mal Nachbarn mit Namen kennen, geschweige denn helfen, hielt man ploetzlich zusammen. Das, sagt Kobe, war fuer ihn das Schoenste. Nach ein paar Tagen rief er seine Eltern an und bat sie, aus ihrem Dorf vor Hongkong herueberzukommen. „Und bringt den kleinen Bruder mit.“ Der 12-Jaehrige sollte das auch sehen. Wie wildfremde Menschen Kisten voll Essen spenden, Erste Hilfe Medizin und Regenschirme gegen eventuelle weitere Traenengasattacken.

Musiker spielten Gitarre, Kinder tanzten im Park. Es gab weder eine uebergeordnete Organisation noch einen Plan B. Alles war ein einziges grosses Happening. Als Kobe eine Abmahnung seines Chefs bekam, musste er doch irgendwann wieder in seiner Modeboutique aufschlagen – obwohl er eigentlich keine Lust dazu hatte. Vielen anderen Sympathisanten ging es genauso. Doch nach der Arbeit kommt er Abend fuer Abend her und schlaeft und haelt Wache. Ehrensache. Zum Duschen faehrt er kurz nach Hause oder in den Victoria Park. Neuerdings hat er auch ein eigenes Zelt, das, wie die anderen 500 (?) auf dem Platz, von anonymen Spendern stammt.

Anfangs fuerchteten sie sich, in einem Zelt zu schlafen. Aus Angst, von der Polizei oder Gegnern der Bewegung im Schlaf ueberrumpelt zu werden. „Jeden Tag haben wir Leute, die uns nicht verstehen und uns mit „Idioten“ oder schlimmeren Ausdruecken beschimpfen.“ Besonders schlimm seien die „Blue ribbons“ – die blauen Schleifen, die im Gegensatz zu den friedlichen gelben Schleifen der Regenschirmfraktion zum grossen Teil aus professionellen Unruhestiftern bestehen. Kobe wechselt sich bei seinen Wachen ab mit einem mittvierzigjaehrigen Mann, den sie wegen seiner grauen Schlaefen nur „Onkel“ nennen. Der Onkel schlaeft mit seinem Sohn im Zelt, einem 15 Jaehrigen, der seine Schule dafuer schleifen laesst. Ausserdem gehoert noch ein 16-Jaehriger zu ihrem Team, der die Schule ernst nimmt, und jeden Morgen um 8.00 aufbricht. Eine sonderbar schwach besetzte Truppe, koennte man denken. Doch die Absperrungen sind gut.

 Fuenf schwer befestigte Posten gibt es insgesamt zwischen Central und Admirality und Wan Chai. Auch die verdanken sie im Grunde einer Aktion der Polizei, die nach hinten losging. Die Polizisten hatten ueberall an der Harcourt Road einzelne Barrikaden aufgestellt, um die Leute zu stoppen. Doch da sie nicht gesichert waren, stiegen die Demonstranten einfach drueber hinweg. Spaeter, bei Nacht und Nebel, nahmen die Studenten sie an sich und schmiedeten wahre Bollwerke draus. Kobe ruft jetzt per Walkie Talkie einen Freund an, Victor Ng. Wenige Minuten spaeter kommt der auch schon, ein freundlicher Junge mit beiger Chinohose und blauem Kapuzenpulli, behaengt mit zwei Walkie Talkies. 18 Jahre ist der Kerl alt, nicht besonders gross, spindelduerr, Pilzkopfhaarschnitt, doch, wie Kobe gesagt hat: „Absolut furchtlos.“ Beim Traenengas hatte Victor in vorderster Reihe gestanden. Er bekam gleich mehrere Ladungen ab. Als er immer noch nicht wich, wurde er geschlagen. „Doch irgendwie fuehlte ich mich immer sicher“, grinst er. Dieses natuerliche Selbstbewusstsein und seine freundliche, coole Art, machten ihn zum Chef der „defensive troups“, die er uns gleich zeigen wird. Insgesamt 50 Leute hat er, die er „brothers“ nennt. 

 „In den ersten Tagen hatten wir schon Angst, dass die Chinesen Militaer schicken,“ erzaehlt Victor. Deshalb arbeitete er intensiv daran, den Revolutionsort massiv zu befestigen. Und zwar an allen moeglichen Strassenzugaengen. Bald war sein Ruf als Leader so etabliert, dass er sogar ein Paket von der spanischen ETA bekam, in der sich die dicksten Schloesser befanden, die selbst fuer Kettensaegen unzerstoerbar seien. Ausserdem rief ihn eines Tages ein Mann an, der sich als „Ex-Soldat“ einfuehrte – und seine Hilfe anbot. Victor willigte ein, ihn zu treffen – und fuehlte sich kurz darauf wie in einem Action-Thriller. Ein grosser, muskelbepackter Mann mit fremdlaendischem Akzent, aber Cantonesisch sprechend, kam auf ihn und die Barrikaden zu und zeigte ihm, wie man schnell und effizient viele Eisenstangen verschweisst. Der Mann half nur fuer zwei Stunden pro Tag – rief aber zwischendurch oefter an, immer von unterschiedlichen Telefonen, und erklaerte detailliert, was sie tun sollten. „Versuch das mal anzuheben,“ sagt Victor stolz und klopft  auf ein Eisenungetuem, das auf einem Park neben dem Regierungssitz steht. Ungefaehr acht Meter lang und fuenf Meter breit ist das Ding, aber bei Bedarf kann er es mit sieben Leuten hochheben und der Polizei in den Weg schieben.

 
In einem anderen Bollwerk haben sie Fahrraeder und Regenschirme verarbeitet, dazu Dutzende Clips fuer Verpackungsmaterial, die zwar aufzuschneiden seien, aber schon durch die schiere Menge von Clips viel Arbeit machen wuerden. Immer wenn er und seine Leute Zeit hatten, bauten sie noch etwas an. Ausserdem hat er inzwischen viele wertvolle Kontakte zu Bauarbeitern, die ihm angeboten haetten, bei Bedarf einfach eine Ladung Beton vor den Regierungspalast zu kippen. So weit will er eigentlich nicht gehen. Er will auch keine Waende mit Graffitis beschmieren. Sie zapfen ja nicht mal mehr die Elektrizitaet vom Regierungsgebaeude an, wie in den Anfangstagen. Inzwischen haben sie Generatoren. Fuer die Kuehlschraenke und ihre Computer.

Studierende Maedchen und Jungen mit Heften oder Laptops auf dem Schoss sieht man ueberall. In der Mitte des Lagers haben sie einen ueberdachten Studierraum gestaltet, bestehend aus fuenfzig improvisierten Holztischen nebst zugehoerigen Stuehlen – gezimmert mit der Hilfe aelterer Maenner, die wissen wie man das macht. Die Tische sind fast alle besetzt. Abends treffen sich hier auch die Professoren, um ihre anhaltende Unterstuetzung zu zeigen. Und um den campierenden Studenten mitzuteilen, was sie im Unterricht verpasst hatten, damit die es nacharbeiten koennen. Es ist vermutlich die vernuenftigste Revolution aller Zeiten. Die ganze Zeltstadt basiert auf drei simplen Regeln: „No cash, no violence, no fights.“ Man will sich keine Angriffsflaeche leisten. Die Eltern sollen spaeter nicht sagen, dass sie ihnen damals auf der Tasche gelegen haetten. Und die Politiker sollen nicht sagen koennen, sie haetten irgendetwas am Gemeingut geschaedigt. Deshalb sind die Zelte auch nicht mit Haeringen im Asphalt befestigt, sondern nur mit Wasserflaschen von innen.

Wir passieren den groessten Stand der kleinen Stadt, das sogenannte G1- Lager, wo 80 Leute arbeiten. Hier werden alle Spenden gesammelt und ausgegeben. Man bekommt Essen, aber auch warme Decken gegen die beginnende Herbstkaelte, Fleecepullover, daneben Schreibmaterial und sogar Buecher. Eine richtige kleine Bibliothek ist da. Sie beinhaltet chinesische Literatur aber auch Fachbuecher zu „Online Journalism“ oder „Lawyers in Practise“. Sogar der Muell wird hier getrennt. Eine junge Frau mit Pagenkopf und in Doc Martens kommt auf Victor zu. Sie umarmt ihn und streckt ihm fuersorglich einen Becher Cola entgegen. Sie ist seine beste Kraft in der Verteidigungseinheit, sagt er,  „absolut furchtlos.“ Es muss die Gruppendynamik sein, die sie so stark macht. Der Glauben an die grosse Sache. Vielleicht aber auch die Hongkong-untypischen, humorvollen Gimmicks.

An den Strassenlaternen haben sie zum Beispiel uebergrosse Regenschirme aus Plastik installiert. An kleinen Staenden kann man lernen, wie man seine eigenen Origami-Regenschirme bastelt. Und ganz neu ist der Garten der Demokratie, den sie auf den Grueninseln neben der Strasse gepflanzt haben. Die Blumen sind schon da und werden eifrig gegossen. Auf die demokratischen Kraeuter warten sie noch. Gegenueber der „Lennon Wall“, einer riesigen Hauswand, die ueber und ueber mit bunten Post It-Zetteln beklebt ist, Sympathiebekundungen von Einheimischen wie Touristen, findet sich eine Art Kunstgalerie mit Zeichnungen und Installationen. Eine hoelzerne Skulptur haelt einen Regenschirm. Der Sarg fuer CY Leung steht auch schon da. In rot. Und ueberall geben Transparente die Meinung der Studenten wieder. „Waert ihr nicht so arrogant, waeren wir laengst weg.“

Im Schatten des Regierungsgebaeudes kann man am fruehen Nachmittag auch einen kleinen, freundlichen Mann mit Brille, rundem Kopf und kurzen Haaren treffen. Das ist Benny Tai, der Professor. Seine Praesenz ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Studenten wie sympathisierende Passanten kommen auf ihn zu, druecken ihm die Hand und bitten um ein Selfie mit ihm. Es sind sich ja alle einig, dass ihre Zeltstadt nicht ewig Bestand haben kann. Doch wie weiter? Benny Tai hat dafuer eine gewinnende Formel: „Es ist wichtiger, die Herzen der Hongkonger zu besetzen als Central.“ Viele Buerger wuenschen sich inzwischen, dass die Jugend die Hauptstrasse wieder freigibt, damit die Staus ein Ende nehmen. Was die Studenten irgendwie auch verstehen koennen. Hongkongs High Court hat die Raeumungen ja schon genehmigt. Es wird also auf eine friedliche Aufgabe hinauslaufen.

Trotzdem sei der Erfolg der Studenten unbestritten, findet Tai. Immerhin habe die ganze Stadt doch wenigstens einmal ueber Demokratie nachgedacht. Er nennt es ein soziales Erweckungserlebnis. Und der Mut der Demonstranten sei ungebrochen. Waehrend unseres Gespraechs waren drei Studentenfuehrer gerade auf dem Weg zum Flughafen, um in Peking selbst mit Chinas Premier Li Keqiang zu reden. Doch es passierte genau das, was der Professor schon vermutet hatte: Man liess die Studenten gar nicht ausreisen. Die Fluglinie Cathay Pacific teilte ihnen mit, dass ihre Reisedokumente ungueltig seien. Ohne weitere Erklaerungen.

Wie es dann weitergehen soll? Den Kampf fuer die Demokratie wollen sie weiterfuehren. Jetzt erst recht. „Bisher waren wir ja immer auf dem Platz und konnten ausserhalb kaum agieren,“ erklaert George Wong, „wenn wir geraeumt werden, koennen wir auch unsere unmittelbare Umgebung, die Familien und sozialen Netzwerke besser motivieren.“ Mit 31 ist er einer der Aelteren im Camp, ein sehniger Mann mit Samurai-Frisur und ausgesuchter Hoeflichkeit. Man kann ihn nicht uebersehen, weil er das schoenste Zelt auf dem Platz hat. Es ist ein orangefarbenes Kunstwerk, auf dem sich Jesus, Che Guevara und grimmig drein blickende alt-kantonesischen Stadtgoetter ein Stelldichein geben. Wong denkt in groesseren Zusammenhaengen. Die groesste Errungenschaft dieser Revolution sei doch, wie weit sich Hongkong in wenigen Wochen von seinem Klischee entfernt hat. Ueberall werde momentan diskutiert. Ueber Nacht werde man das allgemeine Nachricht nicht erreichen, meint er. Auf die Einsicht der gegenwaertigen Politiker sei nicht zu hoffen. Aber noch nie habe es eine solche physische Machtdemonstration des Volks gegeben. „Ich bin mir sicher, dass dieses Erlebnis irgendwann Fruechte tragen wird.“ Damit legt er mit schwarzem Marker letzte Zuege an sein Zelt und wartet darauf, dass die Polizei ihn endlich raustragen wird.

 

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